Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.07.2020, Nr. 158, S. 11

Hoffentlich bekommt der Fasan davon keinen Wind

Was der buntgefiederte Hühnervogel über die Technisierung der Landwirtschaft verrät

Die Sprache der Jäger hat sich seit dem siebenten Jahrhundert ausgebildet und umfasst mehr als dreitausend Wörter. Einige dienen der Kategorienbildung, etwa Hochwild und Niederwild. Manche bezeichnen Körperteile von Wildtieren auf besondere Weise. So nennen Jäger die Füße der Fasanen Ständer und seine Federohrbüschel Hörner. Neben der Spezialisierung hat sich auch der umgekehrte Prozess ereignet, die umgangssprachlichen Übernahmen jägerischer Wendungen: Von etwas Wind bekommen oder auf der Strecke bleiben. Dreitausend Wörter sind eine Menge für ein schweigsames Handwerk, wenn man von den Schreien der Treiber bei Drückjagden absieht. Auf dem Ansitz wird allenfalls geflüstert.

Doch Stummsein dient nicht einzig dem Schaden der Tiere. Was das Federwild betrifft, so schreibt der sächsische Ornithologe Alfred Willi Boback im Standardwerk “Buch der Hege”: “Eine weitere wichtige Hegemaßnahme ist Verschwiegenheit über Balz-, Brut- bzw. Einstandsgebiete, denn sobald ein Vorkommen erst bekannt wird, setzt oft eine Massenwanderung nach dort ein.”

Der Auerhahn, auf den sich Bobacks Warnung bezog, zählt zum Hochwild, nicht zum Niederwild, eine jagdsprachliche Unterscheidung, die sich weder auf die optimalen Höhenmeter des Habitats einer Wildart bezieht noch auf die Körpergröße einer Art, sondern jagdrechtlichen Ursprungs ist. Hochwild – Schalenwild (außer Rehwild), Auerhahn, Steinadler und Seeadler – durfte nur vom höheren Adel erlegt werden, das Niederwild – Hase, Rebhuhn, Fasan, Fuchs und Reh – auch vom niederen Adel und anderen Privilegierten.

Diese Unterscheidung war mit dem Sozialismus nicht gut vereinbar, wenn sich auch die jagdlich interessierte politische Führungsschicht der DDR als Erben adliger Privilegien betrachten mochte. Das “Buch der Hege”, das in der DDR erschien, arbeitet stattdessen mit der Unterteilung in Haarwild und Federwild. Beim Federwild, so Stubbe einleitend, sei “ein starker Rückgang der Bestände festzustellen, der seine Ursachen in einem Komplex von Erscheinungen hat”. Und gänzlich unideologisch zählt er sie auf: “Die mit der sozialistischen Landwirtschaft eng verbundenen einheitlich bestellten Großflächen, umfassende Meliorationsmassnahmen, die verstärkte Anwendung von mineralischen Düngemitteln, von Pflanzenschutzmitteln und von Herbiziden aller Art sowie vor allem die zunehmende Technisierung mit schnell fahrenden Maschinen, die den Verlust vieler Gelege unvermeidlich machen, haben sicherlich dazu beigetragen, so manchen Biotop zu verändern. Empfindlichen Federwildarten werden dadurch keine Lebensmöglichkeiten mehr geboten.”

Vor vierzig Jahren hinter der Mauer geschrieben, sind diese Sätze auch heute nur zu wahr. Wirtschaftliche Effizienz als bäuerliche Handlungsmaxime bereitet Stalltieren viel Leid, unter den Wildtieren bedroht es ganze Arten mit dem Aussterben oder ihrer Vertreibung aus vielen Regionen. Das trifft auf den zum Federwild wie zum Niederwild zählenden Fasan unbedingt zu. Seine Bestände zählt man im Juli. Man muss feststellen, ob der Zuwachs groß genug ist, um im Herbst jagen zu können. Der arme Fasan ist ein Indikator für die Technisierung der Landwirtschaft, er wird praktisch nur gehegt und nicht geschossen, so wenige gibt es. Zwar liebt der buntgefiederte Hühnervogel halboffenes Kulturland, wie es in Deutschland nicht selten ist, aber er braucht am Ackerrand neben Wasser aus Teich, Bach oder Fluss auch Rückzugsgebiete. Zur Flucht müssen Blühstreifen, Hecken und Feldgehölze verbunden sein, denn der Laufvogel, der selten und wenn, dann senkrecht auffliegt, schnell, aber nie weit durch die Luft flieht, wird sonst auf offener Bühne gefressen – vom Fuchs zum Beispiel.

Bäume braucht der Fußgänger auch – auf ihnen schläft er zur Sicherheit. Manche sehen in dem schönen und schmackhaften Vogel nur den exotischen “Jagdpapagei” des Federwilds. Ist die ursprünglich in Asien lebende Art überhaupt als einheimisch zu bezeichnen? Die Antwort darauf ist einfach. Alle vor 1492, dem Jahr der Entdeckung Amerikas, vorkommenden Arten gelten als einheimisch. Vom Fasan weiß man sicher, dass er bereits in der Antike in Südeuropa wild vorkam und in Zucht gehalten wurde. Es heißt, Jason habe ihn mitgebracht. Das passt gut in die Argonautensage und zu ihrem Helden, der von Fremdem, Schönem und ihm Nützlichem magisch angezogen war, wie sich zeigen sollte, als er fern der Heimat die mit zauberischen Kräften begabte Medea eroberte. Dem Mythos zufolge stießen er und seine Männer an den Ufern des Flusses Phasis auf die Tiere mit dem herrlichen Gefieder, und da dies in einer Gegend namens Kolchis geschah, ordnete Carl von Linné den Vogel unter dem Namen Phasianus colchicus in seine Nomenklatur ein. Jason hat bestimmt Fasan gegessen und köstlich gefunden, bevor er Exemplare mitnahm.

Fasanenfang haftet allerdings nichts Heldenhaftes an, dazu geht das zu leicht. Auch lange nach Jason wurden die schlafenden Fasane einfach mit Schlingen von den Bäumen geholt.

Das in den Kulturlandschaften früherer Jahrhunderte durchaus anpassungsfähige Tier ist polygam und polyphag. Der Pflanzen-Allesfresser bedient sich aus dem, was einem anderen Niederwild schmeckt und deswegen die “Hasenapotheke” genannt wird: etwa einhundert verschiedene Pflanzen, unter denen viele sind, die kranke Tiere bevorzugt fressen, um sich zu heilen, wie zum Beispiel wilde Möhren bei Wurmbefall: Die enthaltenen ätherischen Öle vertreiben den ungeladenen intestinen Gast.

An der Erholung der Fasanenbestände arbeiten vor allen die Jäger – einerseits durch Biotopverbesserung und andererseits durch Raubwildbejagung. Viele Verluste geschehen früh, indem Räuber die Eier samt Henne fressen. Vier Rabenkrähen verschlingen während ihrer Aufzucht 197 Eier von Fasanen, Rebhühnern, Enten und Tauben und dazu eine unvorstellbare Anzahl von Singvögeleiern, die man nicht zählen kann, weil sie im Ganzen samt Schale gefressen werden. Rabenkrähen, Füchse und Ratten sind die schlimmsten Feinde des Fasans. Besonders die frisch geschlüpften Fasanenküken leben gefährlich. Bevor sie sich zum Phytophagen entwickeln, brauchen die temperaturempfindlichen Nestflüchter vier Wochen tierisches Eiweiß, um zu wachsen. Ein Fasanenküken, dessen Eidotter leer ist und das bei weniger als 15 Grad in der Wiese sitzt, ohne ein Insekt zu bekommen, ist bereits nach vier Minuten tot.

Neben der Fütterung auf erhöhten Fasanenschütten sind zum Beispiel schutzbietende Hecken ganz wichtig, auf deren windabgewandter Seite sich die Feuchtigkeit besser im Boden hält. Die Hecke, ein wichtiger Standort für viele Lebewesen und Zuflucht auch der Fasane, würde für den Landwirt sogar eine Ertragssteigerung bedeuten. Aber dem Bauern macht das Drumherummähen und Schneiden zu viel Arbeit, und mit dem feuchten Boden hat er noch ein anderes Problem. Die Hasen, die dort leben, machen ihm mit ihren Schlammpfoten den Broccoli schmutzig. Natur macht Arbeit, das ist gewiss.

Der Jagdpächter schüttelt da nur den Kopf. Er macht sich viel Arbeit in seinem Niederwildrevier und hat in zwölf Jahren doch keinen Fasan geschossen. Dennoch hält er entschieden an seinem Tun fest. Wozu die Mühe? Damit seine Enkel draußen in der Natur später Fasane sehen können. Warum haben Fasane keine echte Lobby? Der Fasan gilt nicht als “sexy species”, wie die Biologen bei Forschern und Laien beliebte Arten nennen. Natürlich hat die Land- und Forstwirtschaft monetäre Einbußen zu verzeichnen, wenn sie Maßnahmen zur Niederwildhege ergreift. Der Jäger schafft es nicht ohne Unterstützung, auch wenn er bei der Hege noch so heimlich, still und verschwiegen vorgeht.

WIEBKE HÜSTER

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